19. Oktober 2020

Queere Geschichte zur NS-Zeit – In Gedenken an Ilse Totzke



Zum “LGBT History Month” wollen wir an die systematische Verfolgung von queeren Menschen in der NS-Zeit erinnern. Auch in Würzburg gibt es Fälle solcher Verfolgungen: Ilse Totzke wurde aufgrund ihrer äußeren Erscheinung, welche nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach – dabei ist nicht klar, ob sie trans* war – erst überwacht und anschließend im Jahr 1943 deportiert (grundsätzlich wurde nicht zwischen lesbischen und trans* Personen unterschieden, weswegen die meisten Quellen ausschließlich von Lesben sprechen).

In den 1920er Jahren entspannte sich die Haltung gegenüber Homosexuellen etwas: In Großstädten eröffneten Schwulen- und Lesbenbars und es gründeten sich queere Vereine. Diese Entwicklung wurde allerdings mit Beginn der NS-Zeit wieder umgekehrt. Homosexualität galt als “entartet”, nicht vereinbar mit der herrschenden nationalsozialistischen Ideologie und wurde als “staatsgefährdend” gesehen. Ab 1934 wurde Homosexualität schließlich auch offen bekämpft: Es gab Razzien gegen homosexuelle Männer und sie wurden in Konzentrationslager deportiert. Das geschah auf der Grundlage des Paragraphen 175 des Reichsstrafgesetzbuches, des sogenannten “Homosexuellenparagraphen”. Auch wenn sich der Paragraph in seiner Formulierung nur sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts umfasste, zog er in vielen gesellschaftlichen Bereichen vergleichbare Folgen für lesbische und trans* Personen nach sich: Das “Rassenpolitische Amt” der NSDAP sammelte Namen lesbischer Frauen spätestens seit 1938. Sie wurden überwacht und statt wegen ihrer Homosexualität wegen anderer “Verbrechen” wie Unzucht, Erregung öffentlichen Ärgernisses etc. angeklagt. So entstand auch für für lesbische Frauen ein repressives Klima.

Dies bekam auch Ilse Totzke zu spüren: Nach ihrer vierjährigen Überwachung mit vielen Denunziationen wurde Totzke schließlich im Februar 1943 beim erneuten Versuch des Grenzübergangs in die Schweiz zusammen mit der Jüdin Ruth Basinski festgenommen und nach einem Verhör in Würzburg in das KZ Ravensbrück deportiert.

In den KZs selbst wurde gleichgeschlechtliches Verhalten auch unter den Insassen geächtet. Homosexuelle Männer wurden dabei mit einem rosa Winkel versehen, stellten meist die untersten Ränge der Lagergesellschaft dar und wurden mit Vergewaltigern gleichgesetzt. Lesbische Frauen wurden in den KZs verschiedenen Gruppen zugeteilt, es gab aber keine eigene Kategorisierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Frauen wurden durch Funktionäre und Mithäftlinge aufgrund gleichgeschlechtlicher Handlungen aber mindestens genauso schlecht behandelt wie Männer mit dem rosa Winkel. Dabei ist wichtig, herauszustellen, dass es sich dabei nicht zwingend um lesbische Frauen handelte, sondern auch um diejenigen, die menschliche Nähe in monogeschlechtlichen Lagern suchten oder intime Handlungen als Tauschhandel anboten.

Diese Frauen wurden sogar nach der NS-Zeit noch lange als Monster porträtiert und deswegen lange aktiv aus der Geschichtsschreibung ausgeschlossen. Auch die soziale Diskriminierung bzw. in Teilen Kriminalisierung von Homosexualität, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte, trug dazu bei, dass die Geschichte von queeren Frauen in der NS-Zeit kaum aufgearbeitet wurde. Der Fokus der historischen Forschung, wenn es um queere Menschen in der NS-Zeit geht, liegt meist auf schwulen Männern. Lesbische Frauen hingegen werden deutlich seltener erforscht, an sie als Opfer des Nationalsozialismus wird kaum erinnert. Noch heute gibt es großen Widerstand gegen ein Gedenken für als lesbisch verfolgte Frauen in der Gedenkstätte Ravensbrück und Historiker*innen, die sich mit diesem Thema befassen, werden teils scharf angegriffen. So wird das Narrativ der Holocaustgeschichte weiter heteronormativ geprägt.

Ilse Totzke wurde 1945 vom Schwedischen Roten Kreuz aus dem KZ befreit und starb schließlich 1987 in Frankreich. Für ihren Einsatz für jüdische Frauen wurde sie postum 1995 in Yad Vashem als “Gerechte unter den Völkern” geehrt. In Würzburg, ihrem Wohnort während der NS-Zeit, ist heute eine Straße in Keesburg nach ihr benannt.



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